Helmpflicht für Radfahrer?

Helmpflicht für Radfahrer?

Waiblingen / Winnenden. Ein Helm kann bei Unfällen vor Kopfverletzungen schützen – das wird eigentlich von keinem ernsthaft bestritten. Dennoch herrscht Uneinigkeit bei der Frage, ob das Tragen eines Helms für Radfahrer Pflicht sein sollte. Der ADFC zum Beispiel sagt: „Helm tragen ja, aber keine Helmpflicht“.

Nach Information von Unfallforscher Siegfried Brockmann, dem Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), ist sich die Wissenschaft einig: Radhelme können vor Kopfverletzungen schützen. Die Helmpflicht bleibt dennoch unter Radclubs und Radfahrern ein strittiges Thema.

Ein Argument der Gegner der Helmpflicht ist die befürchtete Abnahme des Radverkehrs. „Auf Leute, die nur kurz in die Stadt fahren, um etwas zu erledigen, wirkt eine Helmpflicht eher abschreckend“, meint Hans Sukowski vom ADFC Winnenden, der der Position des ADFC-Dachverbands zustimmt: Wenn die Helmpflicht kommt, fahren weniger Menschen mit dem Rad. Sukowski trägt immer einen Helm, nimmt auf Touren aber auch Menschen mit, die keinen Helm dabei haben. Diese werden von ihm auf das Helm-Thema angesprochen, reinreden tut er niemandem. „Ich bin für das Tragen eines Helms, aber nicht für eine allgemeine Pflicht“, so Sukowski. Auf die Gefahren wird seiner Meinung nach ausreichend hingewiesen. „Ich möchte die Leute nicht bevormunden.“

Radfahrer sind bei Unfällen das schwächste Glied in der Kette

Ganz anders als der ADCF-Mann sieht es Karl-Heinz Nagl, Vorstand des Weinstädter Radclubs „RTC 84“: „Bei uns gilt: nur mit Helm, ansonsten: vielen Dank.“ Nagl stuft das Risiko so hoch ein, dass seitens des Vereins bei Ausfahrten eine interne „Helmpflicht“ gilt – egal ob für Jedermänner oder Rennradler. Die Debatte um die Helmpflicht hält Nagl für „nicht angemessen“. „Bei der Helmpflicht für Motorradfahrer oder bei der Gurttragepflicht in Autos gibt es schon lange keine Diskussion mehr.“ Sein Argument: Als Fahrradfahrer ist man bei Unfällen immer das schwächste Glied in der Kette. „Wir sind alle nicht unfehlbar“, und wenn es zum Sturz komme, gingen die Verletzungen glimpflicher aus, wenn der Radfahrer einen Helm getragen habe.

Dass sich weniger Menschen aufs Fahrrad schwingen, wenn eine Helmpflicht käme, hält Nagl für „ein vorgeschobenes Argument“. Kurzfristig sei ein Rückgang möglich, auf lange Sicht hingegen werde schon allein der stetig steigende Benzinpreis dafür sorgen, dass mehr Menschen auf die Alternative Rad ausweichen.

Wer ohne Helm fährt, riskiert erhebliche Sturzverletzungen, findet Polizeioberkommissar Hans-Joachim Seibold. „Im Rahmen der Verkehrsprävention versuchen wir, so viele hohe Risiken wie möglich auszuschließen“, sagt er. Seibold ist bei der Polizeidirektion Waiblingen für die Verkehrserziehung zuständig und überzeugt von der Wirksamkeit von Fahrradhelmen. „Wer in den Kursen der Verkehrspolizei Fahrrad fährt, braucht grundsätzlich einen Helm.“ Etwa zwei von drei Kindern im Alter bis zehn Jahre tragen einen Helm, bei Schülern in weiterführenden Schulen nicht mal jeder fünfte Schüler. Bei Erwachsenen liege die Quote unter zehn Prozent, sagt Polizeioberkommissar Hans-Joachim Seibold.

Helmpflichtgegner argumentieren, dass Autofahrer weniger achtsam fahren, wenn der Radfahrer eine schützende Styroporschale auf dem Kopf trägt. Nach dem Motto: „Er ist ja gut geschützt, also muss ich keine besondere Rücksicht nehmen.“

Hans-Joachim Seibold bestreitet das: „Ein Autofahrer denkt selten weiter als bis zum Blech, das er um sich herum hat.“ Weder am Fahrstil noch am Konfliktpotenzial zwischen Auto und Radler ändere es seiner Meinung nach etwas. Autofahrer müssten vielmehr „zu ihrem Glück immer ein Stück weit gezwungen werden“, so Seibold. Erst, wenn es an den Geldbeutel gehe, sei ein Rückgang von Verletzten zu erwarten. Er nennt als Beispiele die Gurttragepflicht: „Erst in dem Moment, als es Geld gekostet hat, in Form von Verwarnungen, hat sich das Schadensbild verringert.“

Für Sukowski vom ADFC bieten Fahrradhelme „nicht die absolute Sicherheit“. Diese solle vielmehr anderswo erhöht werden, „durch ein besseres Radverkehrswegenetz zum Beispiel“. Er beobachte häufig Radfahrer, die auf den Gehwegen herumhoppeln, erzählt Sukowski. „Mir zeigt das, dass sie unsicher sind, wo ihr Weg weitergeht, und darum ausweichen.“ Klare, eindeutig für den Radverkehr vorgesehene Wege und eine adäquate Radverkehrsplanung erhöhten Sicherheit für Radler. Das sieht auch Seibold so: „Wir haben zu wenig gesicherte Radwege“, sagt er.

Ein Gerichtsurteil und warum eine Helmpflicht rechtlich nicht einfach durchsetzbar ist

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein gab im Juni 2013 einer Fahrradfahrerin, die keinen Helm getragen hatte, ein Mitverschulden an einem Unfall. Die Radfahrerin erlitt einen zweifachen Schädeldachbruch und Gehirnquetschungen. Die Richter haben ihr nur 80 Prozent Schadensersatz für ihre Verletzung zugebilligt.

Das Verkehrswachtmagazin „Mobil und sicher“ schreibt in seiner Ausgabe August/September 2013: „Die Schleswiger Richter räumten zwar ein, dass es bisher keine gesetzliche Helmpflicht für Radler gebe“, dennoch handele es sich um ein „Verschulden gegen sich selbst“, wenn ein Radfahrer keinen Helm trage. Weiter heißt es in der Zeitschrift: „Das nun erlassene Urteil gilt zunächst in Schleswig-Holstein. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das Gericht eine Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen, der in einem Jahr darüber entscheiden wird. Folgt er dem Urteil, gilt der neue Ansatz bundesweit.“

Für eine Helmpflicht fehlen belegbare Zahlen, die ein Eingreifen des Gesetzgebers erforderlich machen, schreibt Unfallforscher Siegfried Brockmann, der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), in seinem Blog (http://www.udv.de/de/blog/helmpflicht-radfahrer).

„In Deutschland gibt es keine Studie, die eine Helmpflicht begründen könnte, und die ausländischen Studien, die sich die Gruppe angesehen hat, waren methodisch nicht sauber oder auf Deutschland nicht übertragbar.“ Aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Evidenz sei eine verbindliche Helmpflicht derzeit nicht durchsetzbar.

„Erschwerend kommt hinzu, dass die Polizei nur einen Teil des Unfallgeschehens erfasst. Von Alleinunfällen und Kollisionen von Radfahrern untereinander erfährt die Polizei in der Regel nichts, jedenfalls solange dabei keine Person schwer verletzt wird“, ist bei Brockmann zu erfahren.

Er verweist auf eine gemeinsame Studie der Polizei und den Kliniken der Stadt Münster, die ergab: Nur etwa jeder dritte Unfall eines verletzten Radfahrers wird der Polizei gemeldet. Die Studie lege nahe, dass die Zahl der im Straßenverkehr bei Unfällen verletzten Radfahrer etwa viermal höher ist, als in der amtlichen Statistik ausgewiesen.

Quelle: Waiblinger Kreiszeitung – 05.09.2013

 

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